Roland Schmid, Fotograf des Buches "Krieg ohne Ende", auf der Agent-Oange-dioxin-verseuchten Luftwaffenbasis in  Bien Hoa. (Foto Peter Jaeggi).

 

30. April 1975

 

Ende des Vietnamkrieges

 

vor 50 Jahren

 

Ein Krieg ohne Ende

 

 

Eine aktuelle

 

Bestandsaufnahme 

 

 

Der Vietnamkrieg endete am 30. April 1975, als die südvietnamesische Hauptstadt Saigon (heute Ho Chi Minh Stadt) an die kommunistischen Truppen fiel. Doch Millionen von Menschen kämpfen noch immer täglich mit den Folgen des Chemiewaffeneinsatzes.

 

Während des Krieges versprühten die US-Streitkräfte in Vietnam rund 80 Millionen Liter giftige Entlaubungsmittel, um den Feind aus seiner Deckung zu locken und seine Nahrungsgrundlagen zu zerstören. Weil nicht alle Sprüheinsätze protokolliert worden sind, könnte die ausgebrachte Menge noch viel grösser sein. Mehr als die Hälfte der Herbizide war Agent Orange.

 

Agent Orange enthielt  TCDD, das giftigste aller Dioxine. Es wird mit zahlreichen Krankheiten, Geburtsgebrechen sowie mit Umweltschäden in Verbindung gebracht.

 

Heute leiden noch immer Hunderttausende Menschen an schweren Gesundheitsproblemen, die auf den Kontakt mit dieser Substanz zurückzuführen sind.

 

Vietnam hat Jahrzehnte damit verbracht, die giftigen Hinterlassenschaften des Krieges zu beseitigen, teilweise finanziert durch verspätete Hilfe aus den USA; doch die Arbeit ist noch lange nicht abgeschlossen. Jetzt befürchten Millionen Menschen in Vietnam, dass die USA die Beseitigung von Agent Orange aufgeben könnten, da Präsident Donald Trump die Auslandshilfe (USAID) kürzt.

 

Als der Krieg endete, wandte sich die USA von Vietnam ab, begierig darauf, ein schmerzhaftes Kapitel ihrer Geschichte abzuschliessen.

 

Vietnam blieb mit Dutzenden von Dioxin-Hotspots zurück und sagte, dass die gesundheitlichen Auswirkungen Generationen überdauern  werden und Kinder, Enkel und sogar Urenkel der Menschen, die den Chemikalien ausgesetzt waren, mit Gesundheitsproblemen bedrohen. Sie reichen von Krebs bis zu Geburtsfehlern. 

 

Die VAVA, die vietnamesische Vereinigung für die Opfer von Agent Orange und Dioxin, sagt, dass heute bereits Kinder in der vierten Generation mit Agent-Orange-Folgeschäden geboren werden. Dioxin schädigt nämlich das menschliche Erbgut.

 

Doch rein wissenschaftliche betrachtet, sind Erkenntnisse über den Zusammenhang von Agent Orange und Krankheiten sowie Geburtsschäden nach wie vor unklar.

 

Dies liege auch daran, dass sich die USA und Vietnam, als sie 2006 endlich begannen zusammenzuarbeiten, darauf konzentrierten, zuerst Dioxin in der Umwelt aufzuspüren und zu beseitigen ,sagt Charles Bailey, Mitautor des Buches „From Enemies to Partners: Vietnam, the U.S. and Agent Orange“. Anstatt grosses Gewicht auf gesundheitliche Auswirkungen zu legen, wurden und werden bis heute die meisten Mittel auf die Sanierung von Dioxin-Hotspots verwendet.

 

Vietnam identifiziert Opfer von Agent Orange anhand ihrer Familiengeschichte, ihres Wohnorts und einer Liste von Gesundheitsproblemen, die mit dem Gift in Verbindung gebracht werden. Entscheidend dabei sind Vorfahren, die im Krieg mit den giftigen Herbiziden in Kontakt gerieten. 

 

Die Kontamination zerstörte auch natürliche Abwehrkräfte Vietnams. Fast die Hälfte der Mangrovenwälder, die Küsten vor starken Stürmen schützen, sind durch die Entlaubungsmittel zerstört worden. Zudem wurde ein Grossteil des Tropenwaldes irreparabel geschädigt. Das Herbizid laugte in einigen der klimasensitivsten Gebieten Vietnams auch die Böden aus.

In den Jahrzehnten nach Kriegsende hat das sich erholende Land stark kontaminierte Standorte wie den Flughafen Da Nang eingezäunt und begonnen, betroffene Familien zu unterstützen. Da Nang war einer der wichtigsten US-Militärbasen sowie Umschlagplatz für Agent Orange.

Die USA ignorierten weitgehend die zunehmenden Hinweise auf gesundheitliche Auswirkungen – auch auf ihre eigenen Veteranen –, bis sie Mitte der 2000er Jahre begannen, die Dioxin-Sanierungsarbeiten in Vietnam zu finanzieren. 

 

Erst 1991 räumten die USA ein, dass bestimmte Krankheiten mit der Agent-Orange-Exposition in Zusammenhang stehen könnten und begannen, betroffene eigene Veteranen zu unterstützten. Nicht aber vietnamesische Veteranen.

 

Die Beseitigung von Agent Orange ist teuer und oft gefährlich. Stark verseuchter Boden muss ausgehoben und in grossen Öfen auf sehr hohe Temperaturen erhitzt werden, während weniger kontaminierter Boden in sicheren Deponien vergraben werden kann. Allerdings sagen Kritiker, dass bei der Verbrennung, wird sie nicht sorgfältig gemacht, Dioxin entweichen kann. So geschehen bei der Reinigung des Hotspots Da Nang. 2018 wurde dort die 110 Millionen Dollar teure Sanierung abgeschlossen. 

 

Donald Trumps Kürzungen bei der Entwicklungshilfe-Agentur USAID brachten wichtige Projekte in Vietnam zum Stillstand. Obwohl viele wieder aufgenommen wurden, bleiben Zweifel an der Zuverlässigkeit der USA zurück.

 

Vietnam muss sich nun mit einer neuen Realität auseinandersetzen, in der der US-Präsident unter dem Slogan „America first“ erklärt, dass sich sein Land die Hilfe für andere Länder nicht mehr leisten kann. Es werde nur noch unterstützt, was Amerika diene, lässt das weisse Haus verkünden.

Doch ohne Hilfe könne Vietnam die verbleibenden giftigen Chemikalien nicht beseitigen. Dies sagt Nguyen Van An, Vorsitzender der Vereinigung für Opfer von Agent Orange in Da Nang. Und weiter: „Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass die US-Regierung und die Hersteller dieser giftigen Chemikalien die Verantwortung für die Unterstützung der Opfer tragen.“ Er hoffe, dass Unterbrechungen laufender Projekte aufgrund politischer Veränderungen in Washington nur vorübergehend seien.

 

Aufgrund unzureichender Daten können Experten nicht definitiv sagen, wann die Gefahr für die menschliche Gesundheit endgültig gebannt ist. 

Bei einer Unterbrechung der Sanierungsmassnahmen der nun freigelegte kontaminierte Boden kann das Gif in Gewässer gelangen und noch mehr Menschen schädigen.

 

Im Jahr 2020 wurde auf dem Luftwaffenstützpunkt Bien Hoa in der Nähe von Saigon ein zehnjähriges Projekt zur Sanierung von rund einer halben Million Kubikmeter dioxinverseuchtem Boden angepackt. Mit dieser Menge könnte man schätzungsweise 40`000 Lastwagen zu füllen. Im März 2025 wurden die Arbeiten für eine Woche unterbrochen und dann wieder aufgenommen. Während der Stilllegung haben starke Winde verseuchte Erde in umliegende Wohnquartiere geweht.

 

Charles Bailey, der sich seit Jahren mit  Agent Orange befasst, sagt, dass die künftige Finanzierung der Sanierung durch USAID und ein 30-Millionen-Dollar-Programm für Menschen mit Behinderungen ungewiss seien.

Aufgrund von Kürzungen der Bundesmittel für USAID werden voraussichtlich die meisten von deren Mitarbeitenden in Vietnam bis Ende dieses Jahres 2025 ihren Dienst quittieren. Damit werden Leute fehlen, die  für  Sanierungsprogramme zuständig sind – selbst wenn diese nicht gekürzt werden. „Damit bleibt ein riesiger Berg kontaminierter Erde zurück. Nur 30 Prozent davon wurden bisher behandelt, und das sind die weniger kontaminierten Teile“, sagt Charles Bailey. In Bien Hoa sei bisher nicht einmal die Hälfte der Erde behandelt worden. Die Verbrennungsanlage seit noch nicht einmal gebaut.

 

Tim Rieser, einstiger aussenpolitischer Berater von US-Politikern, sagt, der Kongress unterstütze die Programme weiterhin, doch ohne Personal sei es schwierig, sie fortzusetzen. „Seit mehr als 30 Jahren arbeiten die USA und Vietnam gemeinsam daran, ihre Beziehungen wieder aufzubauen, indem sie sich mit den schlimmsten Hinterlassenschaften des Krieges wie Agent Orange auseinandersetzen“, sagt Rieser. “Jetzt schliesst die Trump-Regierung gedankenlos alles, ohne sich um die Auswirkungen ihrer Handlungen auf die Beziehungen zu einem wichtigen Partner im indopazifischen Raum zu kümmern.“

 

Die US-Botschaft in Hanoi reagierte nicht auf eine Bitte der AP um Stellungnahme.

 

Chuck Searcy, amerikanischer Vietnamkriegsveteran, der seit 1995 in humanitären Programmen in Vietnam tätig ist, sagt, er befürchte, dass das über Jahre aufgebaute Vertrauen sehr schnell zerbrechen könnte. Er weist darauf hin, dass diejenigen, die von den von den USA finanzierten Projekten zur Bewältigung der Kriegsfolgen profitieren, „unschuldige Opfer“ seien. „Sie wurden zweimal zum Opfer gemacht, einmal durch den Krieg und dessen Folgen, und jetzt, indem man ihnen den Boden unter den Füssen wegzieht“, sagte Chuck Searcy.

 

Quellen: The Associated Press AP, David Rising, Peter Jaeggi und andere.

Peter Jaeggi in Hanoi im Interview mit dem amerikaischen Kriegsveteranen Chuck Searcy. (Foto Roland Schmid).

Autorenporträt. Solothurner Zeitung 12.12.2023
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Agent-Orange-Publikationen     von Peter Jaeggi 2000 bis 2022

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Bild in den Weltraum geschossen

Zusammen mit Roland Schmid und Magnum-Fotografen realisierte ich im Jahr 2000 das Buch sowie internationale Ausstellungen mit dem Titel «Als mein Kind geboren wurde, war ich sehr traurig». Eine Dokumentation über die Spätfolgen des Chemiewaffeneinsatzes im Vietnamkrieg, erschienen bei Lenos.

 

Eines von Roland Schmids Bildern, das im Buch publiziert ist (siehe oben), wurde zusammen mit 99 andern Fotografien am 20. November 2012 an Bord des Kommunikations-Satelliten EchoStar XVI in den Weltraum geschossen. Dies im Rahmen eines Projektes des amerikanischen Künstlers und Geografen Trevor Paglen. Auf einer speziell beschichteten CD mit dem Titel «The Last pictures» steht unser Bild nun für eine Ewigkeit in rund 35 000 Kilometern Höhe geostationär im Weltall.

 

Mehr zum Projekt hier.

Der EchoStar XVI

Sesseli hören

«Man denkt,

ein Kind kann

nicht sterben»

Wenn ein Familienmitglied von einer schweren Krankheit heimgesucht wird, dann trifft es die ganze Familie. Vor allem Kinder müssen mit schwierigen Gefühlen zurechtkommen. «Man denkt, ein Kind kann nicht sterben», sagt zum Beispiel Bettina, die eine Schwester an Leukämie verloren hat. In dieser Sendung von Peter Jaeggi erzählen Kinder und Erwachsene, wie sie die Krebserkrankung eines Elternteils oder von Geschwistern erleben oder erlebt haben. Was besonders schwer war, was ihnen dabei geholfen hat und was sie an Erfahrungen mitnehmen.

 

Schweizer Radio DRS

 

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Zu diesem PDF: 

Wie gesunde Kinder die Krebserkrankung von Eltern und Geschwistern erleben.

Ein Gespräch

über schwierige Wege

und was unterwegs helfen könnte

Interviewpartner(in): Dr. Andrea Grether, Kinder- und Jugendpsychiaterin mit eigener Praxis in Basel. Dr. Alain Di Gallo, Kinder- und Jugendpsychiater, Chefarzt des Kinder- und Jugend-psychiatrischen Dienstes Baselland.